Okay, Corona!

Gesellschaft Das Virus wird uns nicht ausrotten. Es wird uns klarer machen, wer wir sind. Und ob das so okay ist

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Berliner sind geübt im U-Bahn fahren
Berliner sind geübt im U-Bahn fahren

Foto: imago images / Joko

Ich habe mich in den letzten Wochen, den Corona-Wochen, äußernd zurückgehalten. Zurückgehalten, weil ich mir sicher war, wenig zu wissen. Das ist noch immer so.

Aber(!): Ich weiß inzwischen einiges mehr. Ich informiere mich. Täglich. Ich bleibe verhältnismäßig, im Sinne von Reaktion und Befindlichkeit. Ich versuche nach wie vor einer Einordnung Raum zu geben, die von zuverlässigen und nachvollziehbaren Informationen bestimmt ist.

Der Neigung in Panik zu verfallen, halte ich stand. Obwohl ich mir, was mich selbst betrifft, Sorgen machen sollte. Ich bin sozusagen: Hochrisikogruppenteilhaber/-nehmer. Alter, Vorerkrankung, resultierende Immundefizienz – alles da. Heute durfte ich erfahren, dass eines meiner notwendigen Medikamente zurzeit nicht erhältlich ist.

In Deutschland. Deutschlandweit. „Zurzeit“, mit dem Hinweis, dass nicht klar ist wie lange. Ich gehe aber davon aus, dass ich das mit meinem Hausarzt (Ersatzmedikament) regeln werde.

Okay.

Im „Netz“ sowieso: das unfassbare Antreffen und konfrontiert sein mit denen, denen in diesen Zeiten nichts anderes einfällt, als denn ihre Einfältigkeit aufs weidlichste auszubreiten.

Was dort an ignoranter Dummheit und erbärmlichem Zynismus unterwegs ist ... naja - eigentlich doch eher das schon Übliche. Intention und Unfähigkeit in inzwischen bekanntem Maße.

Warum sollten die, die immer und überall ihren asozialen Narrativen nachhängen, hier haltmachen? Warum sollte ich mich darauf einlassen, denen zu erklären, versuchen zu erklären, dass hier etwas geschieht, dass sie diesmal nicht abladen können? Auf Anderen. Auf denen, die sie immer als schuldig verleumden und als Ursache für ihr rassistisches und phobisches Dasein verantwortlich machen?

Ja, warum sollte ich mich darauf einlassen? Es gibt für mich keinen Grund. Nicht einmal die kleine Häme im Kopf darüber, dass diese tragischen Figuren im gleichen Boot mit denen sitzen, die sie als ursächlich markieren und somit, vermeintlich rechtmäßig, auszugrenzen berechtigt sind.

Das Virus ist kein dummer Rassist. Das Virus ist ein ehrlicher Makler. Das Virus unterscheidet nicht zwischen dir, mir, denen oder sonst wem.

Okay.

Dann das. Ein zufälliges Treffen. Im Café (wo sonst?), mit zwei guten Bekannten. Höfliches, angenehmes Scherzen. Was man halt so gleich mal erzählen kann und möchte. Peace.

Aber: Natürlich war Corona doch ganz schnell da. Um die zweite Ecke. Als Thema. Als urplötzlicher Ernstmacher. Als: wie siehst du das? Nicht: was weißt du? Nicht: als Auseinandersetzung im Sinne von: was kommt da auf uns zu? Sondern: im Sinne von „was wollen DIE uns denn da eigentlich erzählen?“ „was für eine Panikmache“ „als hätten wir noch nie eine Grippewelle gehabt und überlebt“.

Puuhh. Bin ich im Netz? Oder hier? Zusammen mit Leuten denen ich locker zutrauen durfte, mittels zugänglichen Infos und gesundem Menschenverstand in der Lage zu sein, eins und eins zusammenzählen zu können? Erschüttert, aber nicht abgeschreckt, packte ich das verfügbare Besteck aus. Inclusive einer gewissen Dramaturgie.

Aktuelle Zahlen Deutschland. Im Vergleich zu Maßnahmen mit Erkennen und Begreifen dessen, was das Virus darstellt. Zeitabläufe, Maßnahmen – angefangen in China, bis nun zum elendig betroffenen Nachbarn Italien. Erklären, inwieweit ein COV19, als bislang nicht bekannter und deshalb als nicht wirklich abwehrbarer Virus, unterwegs mit einem exponentiellen Wachstum, entsprechender Verbreitung und somit extremem Risiko vor unseren Türen lauert. Eindämmen/Verhindern von Ausbreitung geht nicht wirklich, Verlangsamen ist Ziel, wg. Verhinderung von Überlastung/Kollabieren der Gesundheitssysteme mit, denn dann, allen chaotischen Konsequenzen. Letalität, Mortalität in Relevanzen, alles dabei (der Drosten hätte mich adoptiert).

Inclusive Beruhigung, dass es ja wirklich hart nicht die Beiden trifft, sondern eher mich. Leute wie mich. Hochrisikogruppe. Dass dies aber wiederum nur den beruhigt, dem ich egal bin. Diesen Part im Gespräch habe ich mir redlich gegönnt. Mit einem gewissen, innerlichen Schmunzeln. Wie ignorant bleiben/sind die Beiden? Sie haben sich gut aus der Affäre gezogen. Mit Staunen, nicht so klar gewusst zu haben, das alles nun ganz anders zu sehen. Immerhin. Nicht schlecht für den Moment.

Okay.

Wer ins Café geht, muss sehen wie er auch wieder rauskommt. Das war dann aber recht einfach. Versöhnliche Verabschiedung, zahlen, Garderobe und raus.

Um dann in die U6 zu steigen. Fehler. Oder auch nicht. Da war’s dann greifbar. Greifbarer. Das Problem. Das Problem, dass wir das Problem ahnen – aber nicht ansatzweise greifen können. Es war keine Einbildung. „Zurzeit“ in Berlin U-Bahn fahren, ist optional-maximale Anordnung für Feldversuche, auch gestandener Soziologen und Psychologen.

Berliner sind geübt. Im U-Bahn fahren. Denen entlockst du dort so schnell nix. Die haben alles schon gesehen. Die sind hochgradig immunisiert. Gegen Alles was dort vorkommt. In Berliner U-Bahnen. Und das ist viel. Unvorstellbar viel.

„Zurzeit“ ist das anders. Zumindest heute war das anders. Über dem gesamten Waggon lastete es. Das Virus. Die Berliner (Touristen sind „Zurzeit“ keine mehr unterwegs) haben neue Körpersprachen als Coronamove, quasi über Nacht, erlernt. So eng und doch mit so viel Abstand – das muss man können. Nichts berühren und trotzdem händeln. Das muss man können. Nicht husten, nicht niesen, obwohl man müsste – das muss man können. Das übliche aufs Smartphone starren, als nicht eigentliche Tätigkeit zu praktizieren, man muss den potenziellen Virenträger irgendwie im Auge behalten, das ist hohe Alltagskunst.

Das ist das Rüstzeug um trotz BVG zu überleben. Irgendwie.

Okay.

Bevor das jetzt alles anfängt hilfswitzig zu werden: back to the problem!

Das Problem ist einfach zu benennen: Wie umgehen? Wie umgehen mit Corona? Nicht nur in der medizinischen Disziplin. Auch! Damit, was dieses bislang neue Phänomen (für uns Zeitgenossen), mit uns anrichtet. Mit unserer Gesellschaft. Mit unserem Selbstverständnis. Mit unseren, eigentlich immer präsenten, uralten Fragen zum Sein. Schaffen wir Corona? Oder schafft Corona uns?

Das Virus wird uns nicht ausrotten. Es wird uns klarer machen: Wer wir sind ... und ob das so okay ist.

OKAY, Corona?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Frank Happel

Frank Happel, freier Journalist, Berlin

Frank Happel

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